Kühe & ihre Hörner
Rinder
mit Hörnern zu halten ist für uns eine Sache des Prinzips. Hörner sind
für Rinder wichtige Organe. Sie kommunizieren damit. Sie dienen dem
Angriff und der Abwehr. Und die Tiere können sich damit gut kratzen. Ohne Hörner sind Rinder viel eingeschränkter, auch wenn es ein Laie gar nicht einfach erkennen kann. Außerdem spielen Hörner eine wichtige Rolle bei der
Verdauung und damit für die gesamte Stoffwechselaktivität und die
Gesundheit. Die Theorie: Verdauungsgase steigen aus dem Magen nach oben durch die
Nasen- und Stirnhöhlen ins Horn. Hörner sind besonders in Kopfnähe
stark durchblutet. Hier diffundieren die Gasmoleküle durch die
Kapillaren ins Blut. So bekommt die Kuh ein feedback über die
Zusammensetzung des
aktuellen Nahrungsbreies und dessen Verdauungsfortschritt. Dadurch kann
ihr Körper die Verdauungsprozesse entsprechend anpassen und die Kuh kann
besser entscheiden ob sie mit Wiederkäuen aufhören oder fortfahren
soll und ggf. gezielt weitere Nahrung zu sich nehmen (auf der Wiese z.B.
ganz bestimmte Kräuter).
Schaut man sich hornlose Kühe einmal genauer
an, fällt auf, dass ihr Kopf irgendwie anders aussieht. Der obere Teil
des Schädels wirkt verlängert bzw. größer. Das rührt daher, dass die
Stirnhöhlen hornloser Kühe mit dem Alter an Volumen zunehmen, wahrscheinlich um die
mangelnde Gasaustauschfläche aufgrund fehlender Hörner auszugleichen.
Studien zufolge geben Kühe mit Hörnern bessere Milch als hornlose Kühe.
Alle Rinderhalter, die ich bis jetzt zum Thema befragt habe, berichteten
mir, dass ihre hornlosen Charolais nicht an die Fleischzunahme der
gehörnten Tiere herankommen. Folge einer nicht so effektiven
Futterverwertung wegen fehlender Hörner?
Wie wichtig Hörner
für Rinder
wirklich sind, wurde noch nicht einmal vollständig
untersucht. Aber der
Mensch schneidet sie ab oder züchtet sie gleich ganz weg. Und warum?
Weil er es kann! Es ist sicherer, praktischer und billiger bzw.
gewinnbringender. Rinder ohne Hörner können Menschen und andere Rinder
nicht damit verletzen und sie können sich ihre Hörner im Gerangel nicht
abbrechen und daran verbluten. Außerdem können hornlose Rinder nicht so
leicht irgendwo hängenbleiben oder mit dem Kopf feststecken. Sie
benötigen auch nicht so viel Platz und Bewegungsfreiheit für ihren Kopf.
Deswegen stellen hornlose Rinder an Stallplanung, -bau und -einrichtung
nicht so hohe Ansprüche wie behornte Rinder und ein Bauer,
der unter ständigem Preisdruck steht, kann auf die selbe Stallfläche
mehr Rinder stellen, wenn sie nicht behornt sind.
Je enger
Rinder zusammenleben, desto mehr Reibereien gibt es zwischen ihnen, da
weniger Möglichkeit zum Ausweichen besteht und der individuelle
Wohlfühlbereich der Tiere eingeengt wird. Bei eingeschränktem
Platzangebot stoßen sie sich daher vermehrt gegenseitig mit dem Kopf.
Hornlose Rinder tun das genauso wie behorne Rinder, nur mit dem
Unterschied, dass die Verletzungsgefahr ohne Hörner i.d.R. geringer ist.
Vermehrte Kopfstöße in den Bauch gefährden jedoch das ungeborene Kalb. In Haltungssystemen mit hornlosen Rindern besteht also tendenziell die
Gefahr, die Lebensqualität der Tiere stärker zu beschneiden. Bei
Masttieren dürfte dieser Faktor stärker zum Tragen kommen, weil bei
Milchkühen unter Platzmagel und sozialem Stress die Milchleistung leidet und sich eine
höhere Besatzdichte bei Milchvieh daher nicht oder weniger rentiert als
bei Mastvieh.
Sicher, es gibt auch in Deutschland alljährlich schlimme Unfälle, bei denen Viehwirte durch Hörner schwer verletzt, entstellt oder gar getötet werden. Aber ich wage zu behaupten, dass oft nicht das Horn ursächlich ist, sondern die Wurzel des Übels woanders zu finden ist und ein Unfall darum vermeidbar wäre. Ich denke da z.B. an Zeitdruck und die damit verbundene Risikobereitschaft, Selbstüberschätzung, Unwissenheit, Unachtsamkeit, ungünstige bauliche Gegebenheiten im Stall, fehlende Sicherheitseinrichtungen, Haltungsfehler oder falscher Umgang mit den Tieren. Ein Kontrolleur der Berufsgenossenschaft erzählte mir mal von einem Vorfall, bei dem ein Bauer einfach nur ungünstig neben seiner Kuh stand, die ruckartig den Kopf nach hinten riss um Fliegen zu verscheuchen. Dabei durchbohrte ein Horn sein Gesicht vom Kinn bis zur Stirn. Ein klassischer Fall von "zur falschen Zeit am falschen Ort". Vor solchen Unglücken kann man sich natürlich kaum schützen. Aber ist das Wegzüchten eines Organs an einer ganzen Tierart nicht ein zu hoher Preis, um Unfallgefahren zu verringern, insbesondere wenn wir die Folgen noch gar nicht abschätzen können? Motorrad- oder Autofahren kann auch schlimm enden. Trotzdem verzichten wir nicht darauf, denn es wäre für uns selbst mit großen Einschränkungen verbunden. Sobald aber nicht der Mensch selbst, sondern Tiere den Preis für seine Sicherheit bezahlen müssen, wird nicht lange gefackelt....
Wer mehr über das Thema erfahren möchte, findet z.B. beim Bio Ring Allgäu e.V. viele Informationen, Lektüre und auch Filme.